Die aktuelle Drohung Russlands, die Gaslieferungen nach Europa einzustellen, hat nicht nur zu weit verbreiteter Panik und explodierenden Preisen geführt. Bei der Suche nach Alternativen werden nun völlig unerwartete Ideen vorgebracht, die zuvor entweder nicht berücksichtigt wurden oder auf scharfe Kritik gestoßen sind. So sind Wasserstoff, Atomkraft, Kohle und LNG zu einem heißen Verhandlungsthema geworden, aber keiner der Vorschläge funktioniert so gut, wie man es erwarten würde.
Wird die Verschiebung des Atomausstiegs funktionieren?
Deutschland bezieht mehr als die Hälfte seines Gases aus Russland. Daher ist die Verlängerung der Laufzeit von Atom- und Kohlekraftwerken eine der wichtigsten Alternativen.
Jetzt sagt der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck, es habe keinen Sinn, über Verbote zu sprechen. Doch ist diese Idee wirklich eine tragfähige Alternative zum Erdgas als Energieträger?
Atomkraftwerksbetreiber haben ihre Verhandlungsbereitschaft erklärt. Die Laufzeit von Anlagen zu verlängern ist jedoch nicht einfach, vor allem wegen des Mangels an Brennstäben und Know-how: Wichtige Betreiber sind bereits im Ruhestand oder stehen kurz davor.
Aber das ist noch nicht die größte Herausforderung. Kernreaktoren können Gaskraftwerke am Netz nicht ersetzen, da die drei verbleibenden Kernkraftwerke, die eigentlich innerhalb eines Jahres abgeschaltet werden sollten, etwas mehr als 4 Gigawatt Strom erzeugen können. Der Stromverbrauch in Deutschland wiederum beträgt bis zu 39 GW in der Nacht und bis zu 78 GW an Wochentagen.
Kohleblöcke werden wieder in Betrieb genommen?
Kohlekraftwerke sind flexibler als Kernkraftwerke. Mit Gaskraftwerken sind sie aber noch nicht zu vergleichen. Ihre Leistung wird im Laufe des Tages so angepasst, dass sie die Lücke zwischen dem erwarteten Angebot an erneuerbaren Energiequellen und dem prognostizierten Verbrauchsprofil schließen. Kurzfristige oder unerwartete Lastwechsel können sie jedoch nicht ausgleichen.
Gaskraftwerke sollen nun eher zur Mittagszeit in Betrieb gehen, weil sie die Lücke schließen sollen, die die inzwischen abgeschalteten Kohlekraftwerke hinterlassen haben. In diesem Fall könnte eine Verlängerung der Laufzeit von Kohlekraftwerken eine noch stärkere Abhängigkeit von Erdgas verhindern, eine Reaktivierung – sogar etwas reduzieren.
Im Gegensatz zur Kernkraft wird Kohlestrom auch zur Erzeugung von Fernwärme genutzt. Fernwärmenetze werden jedoch in der Regel mit Kohle oder Erdgas betrieben. Und hier kann Kohle Gas nicht ersetzen. Außerdem kommt teilweise auch Steinkohle aus Russland.
Suche nach Alternativen zu russischem Gas – Hoffnung auf afrikanische Ressourcen?
Jeder weiß, dass Afrika über große unerschlossene Gas- und Ölreserven verfügt. Aber die Steigerung der Exporte nach Europa ist keine leichte Aufgabe. Schon vor Beginn des Krieges in der Ukraine hat die Präsidentin von Tansania immer wieder auf die großen Aussichten für eine Zusammenarbeit hingewiesen. So reiste Samia Suluhu Hassan Mitte Februar zum EU-Afrika-Gipfel nach Brüssel. In einem Interview sagte sie, die Spannungen in der Ukraine würden neues Interesse an Tansanias Gasreserven wecken.
Es ist mit 1,6 Milliarden Kubikmetern das sechstgrößte Vorkommen in Afrika, sodass nächstes Jahr ein 30-Mia.-USD-Projekt zur Erschließung beginnen soll. Seit die europäischen Länder, insbesondere Deutschland, ihre Entschlossenheit gezeigt haben, sich aus der Abhängigkeit von russischen Rohstoffen und vor allem Öl und Gas zu befreien, unterstützen viele in Afrika die Präsidentin Tansanias in dieser Angelegenheit.
Die Gasimporte aus Russland sollen 2022 um fast zwei Drittel reduziert werden. So soll Europa bis 2030 völlig unabhängig von russischen fossilen Brennstoffen werden – so der Plan der Europäischen Kommission. Das klingt für viele nach einer gewissen Übertreibung, wenn man bedenkt, dass etwa 44 bis 47 Prozent des in die EU importierten Gases sowie 26 Prozent des Rohöls immer noch aus Russland stammen.
Kann der südliche Nachbarkontinent Hilfe leisten?
Vielleicht würde der russische Angriff auf die Ukraine als „seismischer Wandel“ für afrikanisches Gas dienen. Die Situation ist so, dass Afrika jetzt die zuverlässigste Alternative für Europa ist. Doch kann Afrika Europas nächste Tankstelle sein?
Eine Reihe afrikanischer Länder nutzt derzeit fossile Brennstoffe. Das verstößt zwar gegen alle globalen Klimaziele, aber Afrika ist nicht einmal für 5 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich.
So sieht die Situation mit verschiedenen Ländern des Kontinents aus:
- Mosambik hat vor seiner Küste ein riesiges Gasreservoir entdeckt, das der französische Konzern Total im Rahmen eines 20-Mia.-USD-Projekts fördern will.
- Ghana, Uganda, Namibia und Elfenbeinküste wollen neu entdeckte Ölfelder erschließen.
- Gleichzeitig sind Nigeria und Angola auf Öl- und Gasexporte angewiesen, und diese Abhängigkeit wird in naher Zukunft nicht abnehmen.
Nigeria erscheint auf den ersten Blick wie ein möglicher Helfer Europas. Das Land ist nach Algerien der zweitgrößte Gasexporteur Afrikas und verfügt über die größten Reserven. Im Gegensatz zu anderen Ländern, in denen Öl- und Gaspläne gerade erst beginnen, sich als vielversprechend zu erweisen, hat Nigeria konkrete Projekte, um Gas nach Europa zu exportieren.