Erdgas könnte im Winter knapp werden, wenn Russland die bereits gekappten Lieferungen nach Europa komplett stoppt. Die EU und insbesondere Deutschland versuchen, ihre Gasspeicher zu füllen, ziehen Kohlekraftwerke aus der Reserve, und die zuständigen Behörden fordern weiterhin Energiesparen.
Russland dreht den Gashahn komplett zu?
Die Menschen in der EU können an nichts anderes denken, als die Temperatur am Arbeitsplatz zu senken und zu fordern, Ressourcen, insbesondere Gas, einzusparen. Dies sind primäre Maßnahmen, die im Notfall leider nicht ausreichen werden.
Wegen der Gaskrise schlägt Brüssel vor, die Heiztemperatur in öffentlichen Gebäuden auf 19 Grad zu senken. Außerdem sollte jeder Gas sparen. Bisher ist dies nur eine erste Idee des richtigen Vorgehens, aber die Hauptrichtungen werden sich im kommenden Jahr höchstwahrscheinlich nicht ändern.
Die Gefahr von Konsequenzen ist schon sehr nah
Wenn der russische Energieversorger Gazprom nicht bald die Gaspipeline Nord Stream 1 in der Ostsee eröffnet, wird es in ganz Mitteleuropa zu Problemen kommen. Ein paar Maßnahmen zur Ressourcenschonung und warme Kleidung für Herbst-Winter reichen kaum aus.
Ganze Industrien fürchten bereits um ihre Existenz, weil sie auf den Rohstoff Gas angewiesen sind. Wenn Russland sein Handeln also nicht einstellt, steht die europäische Wirtschaft vor einer Rezession.
Die ersten Veränderungen sind bereits da: Die EU-Kommission hat ihre Wachstumsprognose kürzlich deutlich nach unten korrigiert. Niemand in Europa ist auf den Ernstfall vorbereitet. Die bisher bekannten Empfehlungen gehen kaum über das hinaus, was die Internationale Energieagentur im März gefordert hat.
Viele Details weisen auch auf die Strategien hin, die derzeit in Berlin diskutiert werden. Vergeblich sucht man nach den Alternativen zu Nord Stream 1. Wo ist das versprochene LPG aus den USA? Ist es möglich, es in Katar oder Japan zu kaufen? Gas zu Tiefstpreisen – ist das jetzt überhaupt möglich?
Das Versprechen, Märkte zu regulieren und Verbraucher zu schützen, soll noch erfüllt werden, und wie lange diese Vorbereitung dauern wird, ist unbekannt. Außer dem schönen Titel „Sicheres Gas für einen sicheren Winter“ weist in dem von Berlin ausgearbeiteten Plan nichts auf die Erfüllung seiner Punkte hin.
Die richtige Vorgehensweise würde helfen
Gas muss im Notfall dorthin gelangen, wo es am dringendsten benötigt wird – erst in die Haushalte, damit im Winter niemand friert, und dann in die Industrien, die am wenigsten darauf verzichten können. Welches Land in der EU die meisten davon hat – Italien, Deutschland, Österreich oder die Slowakei – ist dabei zweitrangig. Europa ist ein Wirtschaftsraum, in dem alle Rädchen eng ineinander greifen, daher sollte man gemeinsam handeln.
Effektivität erfordert eine starke Rolle der EU-Kommission, die sowohl die Beschaffung als auch die Verteilung und Kontrolle übernehmen sollte. Es hätte auch den Vorteil, dass Amerika aufhören würde, die Gaspreise durch hektische Käufe aufzublähen.
Man hat das Gefühl, dass die Vereinigten Staaten Putin nur helfen und sich selbst schaden. Daher wurde vorgeschlagen, ein EU-Einkaufskartell einzuführen, das den Preis begrenzen und Russland keine andere Wahl lassen würde, als Gas billiger zu verkaufen.
Diese Absage an populistische nationale Egozentrik erfordert kurzfristig eine gewisse Willensstärke in Form von Großzügigkeit und Toleranz. Aber nur so spüren die Menschen bald die Vorteile im Portemonnaie.
Ist es möglich, den Gasspeicher zu füllen?
Bereits vor der militärischen Auseinandersetzung forderten Fachleute gesetzliche Mindestfüllstände für Gasspeicher. Die Lagerung von Kleinstmengen, beispielsweise für Öl, ist längst üblich.
So haben sich die EU-Mitgliedstaaten Anfang 2022 erstmals auf verbindliche Speichermengen geeinigt. In Deutschland gilt seit Ende April das novellierte Energiewirtschaftsgesetz (EnWG), das Mindestfüllstände für deutsche Gasspeicher vorschreibt. Ist absehbar, dass die Speichermanager nicht ausreichend Gas einkaufen werden oder können, wird die Trading Hub Europe GmbH mit der Befüllung der Gasspeicher beauftragt.
Trading Hub Europe bzw. THE ist für den deutschen Markt zuständig und nun gegenüber dem EnWG verpflichtet, die Gasspeicher sukzessive zu füllen. Jeder Speicher muss bis Anfang Oktober zu 80% gefüllt sein, bis zum 1. November zu 90% und ab Anfang Februar 2023 dann wieder zu 40%.
Der Füllstand liegt durch die getroffenen Maßnahmen nun bei rund 60%, was dem Durchschnitt der letzten Jahre entspricht.
Deutschland will auch die Versorgung sichern
Um Gas zu kaufen, stellt der Bund über die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) einen Kredit über 15 Milliarden Euro zur Verfügung, der auch von der Bundesregierung abgesichert ist. Die angestrebten Füllstände der Gasspeicher wären nach Angaben der Bundesregierung bis zum Winter 2022/2023 möglich, wenn Russland die vertraglich vereinbarten Gasmengen liefert.
Die aktuellen Liefermengenkürzungen werden als politisch motivierter Schritt zu weiteren Preiserhöhungen gesehen und üben Druck auf die EU und insbesondere Deutschland aus.